Warum muss man eine Flachdachabdichtung überhaupt erneuern?
Ein Flachdach ist kein flaches Dach - es ist ein geneigtes Dach mit weniger als fünf Grad Neigung. Und genau diese geringe Neigung macht es anfällig für Wasserstau. Wenn die Abdichtung alt oder beschädigt ist, dringt Feuchtigkeit ein. Das führt nicht nur zu Schimmel an der Decke, sondern auch zu Holzfaulnis im Dachstuhl, beschädigter Dämmung und letztlich zu teuren Strukturschäden. Die meisten Flachdächer aus den 80er und 90er Jahren haben heute ihre Lebensdauer erreicht. Eine Erneuerung ist nicht nur sinnvoll - sie ist oft unvermeidlich.
Die drei Hauptmaterialien im Vergleich
Bei der Erneuerung einer Flachdachabdichtung stehen drei Hauptmaterialien zur Auswahl: Bitumenbahnen, EPDM-Membranen und Flüssigkunststoffe. Jedes hat seine Stärken und Schwächen - und die richtige Wahl hängt nicht nur vom Preis ab, sondern von der Dachgröße, der Geometrie und dem langfristigen Nutzen.
Bitumenbahnen: Die klassische Lösung mit Haken
Bitumen ist das traditionelle Material. Es wird in mehreren Schichten aufgebracht, meist mit einem Gasbrenner verschweißt. Die Vorteile liegen auf der Hand: Es ist günstig, einfach zu reparieren und wird von fast jedem Dachdecker verarbeitet. Die Kosten liegen zwischen 8 und 15 Euro pro Quadratmeter. Aber hier hört der Vorteil auf.
Bitumen wird mit der Zeit spröde. Bei Kälte bricht es, bei Hitze weicht es auf. Risse entstehen besonders an Randabschlüssen, Dachdurchführungen oder an Übergängen zu Wänden. Laut einer Studie der Handwerkskammer München entstehen 78 % aller Schäden innerhalb der ersten acht Jahre genau an diesen Stellen. Die Lebensdauer beträgt durchschnittlich nur 10 bis 15 Jahre. Danach muss das ganze Dach komplett erneuert werden - mit hohen Kosten für Entsorgung und Neubau.
Und die Entsorgung ist teuer. Bitumen ist brennbar und wird als Sonderabfall behandelt. Die Kosten liegen bei 80 bis 120 Euro pro Tonne. Das macht bei einem 100 m² großen Dach schnell 1.500 Euro aus. Zudem verursacht die Verarbeitung mit Gasbrenner starken Geruch und Lärm - ein Problem, wenn das Haus bewohnt ist oder in dichter Bebauung steht.
EPDM: Die langfristige Investition
EPDM ist ein synthetischer Kautschuk. Es kommt als fertige Bahn mit einer Dicke von 1,2 bis 2,0 mm und wird verklebt oder mechanisch befestigt. Kein Brenner, kein Rauch, kein Geruch. Die Anschaffungskosten sind mit 20 bis 25 Euro pro Quadratmeter deutlich höher als bei Bitumen. Aber das ist nur die Anfangsrechnung.
EPDM hält mindestens 50 Jahre. Es ist beständig gegen UV-Strahlung, extreme Temperaturen von -40°C bis +130°C und fast alle Chemikalien - außer Fetten und Mineralölen. Die Wartung ist fast nicht nötig. Einmal richtig verlegt, braucht es nur gelegentliche Kontrollen. Die jährlichen Wartungskosten liegen unter 0,50 Euro pro Quadratmeter. Das ist weniger als ein Viertel der Kosten von Bitumen.
Prof. Dr. Klaus Peter Götz von der TU München hat in seiner Langzeitstudie nachgewiesen: EPDM hat die niedrigsten Lebenszykluskosten. Selbst wenn es 20 % teurer anfängt, amortisiert es sich innerhalb von 15 Jahren durch fehlende Erneuerungskosten. Bei großen Dächern über 200 m² ist EPDM die wirtschaftlichste Wahl - und auch die umweltfreundlichste. Der Marktanteil bei Neubauten ist seit 2019 von 28 % auf 39 % gestiegen. Bitumen ist dagegen von 52 % auf 41 % gesunken.
Flüssigkunststoff: Die Lösung für komplizierte Dächer
Flüssigkunststoff ist kein Material, das man aufrollt - es wird flüssig aufgetragen. Grundierung, Armierungsgewebe und Deckschicht werden nacheinander aufgebracht. Das Ergebnis ist eine nahtlose, elastische Membran, die sich perfekt an Rohre, Lichtkuppeln oder Dachfenster anpasst. Das macht es zur idealen Lösung für Dächer mit vielen Durchdringungen.
Die Kosten liegen zwischen 15 und 22 Euro pro Quadratmeter. Die Lebensdauer beträgt 20 bis 25 Jahre - länger als Bitumen, kürzer als EPDM. Ein großer Vorteil: Es kann oft direkt über die alte Bitumenabdichtung aufgebracht werden, ohne sie komplett abzutragen. Die Aufbauhöhe beträgt nur 2 bis 3 mm. Das ist entscheidend, wenn das Dach statisch belastet ist oder keine zusätzliche Last vertragen kann.
Aber: Es ist anfällig für Fehler. Die Verarbeitung muss bei Temperaturen zwischen 5 und 30°C und einer Luftfeuchtigkeit unter 80 % erfolgen. Eine zu dünne Schicht - nur 20 % weniger als vorgesehen - reduziert die Lebensdauer um bis zu 50 %. Die Untergrundvorbereitung muss perfekt sein: kein Staub, kein Fett, keine Feuchtigkeit. Die Handwerkskammer München listet falsche Schichtdicke als zweithäufigsten Fehler bei Flüssigkunststoff auf - mit 28 % der Schadensfälle. Wer hier spart, zahlt später doppelt.
Was sagt die Praxis? Marktanteile und Trends
Bei Neubauten dominiert EPDM mit 42 % Marktanteil, gefolgt von Bitumen (35 %) und Flüssigkunststoff (23 %). Bei Sanierungen ist Bitumen noch immer führend mit 48 % - aber das ändert sich. Die Gründe sind klar: Umweltvorschriften, steigende Energiepreise und die Erkenntnis, dass teure Materialien langfristig günstiger sind.
Die Bundesregierung fördert sanierungsorientierte Dachlösungen, weil sie den Energieverbrauch senken. EPDM und Flüssigkunststoff lassen sich gut mit Dämmung kombinieren, ohne das Dachgewicht stark zu erhöhen. Bitumen dagegen wird zunehmend als veraltet angesehen. Die Forschung geht bereits weiter: Am Fraunhofer-Institut entwickeln Wissenschaftler hybride Systeme, die Flüssigkunststoff mit EPDM verbinden. Diese Prototypen versprechen eine Lebensdauer von über 60 Jahren - bei Kosten von 28 bis 32 Euro pro Quadratmeter.
Die entscheidende Regel: Qualität vor Preis
Die Materialkosten machen nur 35 bis 45 % der Gesamtkosten aus. Die Arbeit macht 40 bis 50 % aus. Und die Untergrundvorbereitung? 10 bis 15 %. Wenn die Unterlage nicht sauber, trocken und stabil ist, hält keine Abdichtung. 63 % aller Schäden entstehen durch schlechte Vorbereitung - egal welches Material verwendet wird.
Ein Dachdecker, der bei Bitumen 500 Euro pro Quadratmeter berechnet, ist nicht teurer als einer, der bei EPDM 700 Euro verlangt. Der Unterschied liegt nicht im Material, sondern in der Sorgfalt. Wer eine professionelle Diagnose macht, eine genaue Messung des Daches und eine detaillierte Planung verlangt, spart langfristig. Eine falsche Entscheidung kostet nicht nur Geld - sie kostet Zeit, Nerven und möglicherweise das ganze Dach.
Was ist die beste Wahl für Ihr Dach?
- Unter 50 m²? Bitumen ist noch wirtschaftlich - aber nur, wenn Sie in 10 Jahren erneut sanieren wollen.
- 50 bis 200 m²? Flüssigkunststoff ist ideal, besonders wenn das Dach viele Durchdringungen hat oder die alte Abdichtung nicht entfernt werden soll.
- Über 200 m²? EPDM ist die klare Wahl. Die Anfangsinvestition ist hoch, aber die Lebensdauer von 50 Jahren und die minimalen Wartungskosten machen es zum günstigsten System über die gesamte Lebenszeit.
Es gibt keine perfekte Lösung. Aber es gibt eine richtige Entscheidung - basierend auf Fakten, nicht auf Preislisten. Wer nur den niedrigsten Angeboten folgt, zahlt am Ende doppelt.
Was passiert, wenn man nichts tut?
Ein undichtes Flachdach führt nicht nur zu Wasserschäden. Feuchtigkeit im Dachstuhl fördert Schimmelbildung - das ist ein Gesundheitsrisiko. Die Dämmung verliert ihre Wirkung, die Heizkosten steigen. Und wenn die Holzkonstruktion angegriffen ist, wird die Sanierung plötzlich zu einem 10.000-Euro-Projekt statt zu einem 3.000-Euro-Projekt. Die Zeit, die Sie mit Warten sparen, zahlen Sie später mit Zinsen, Stress und Verzicht auf Wohnraum.
Julius Asante
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