Beim Immobilienkauf geht es nicht nur um die Lage, den Zustand oder die Ausstattung. Die Wohnfläche ist der entscheidende Faktor, der den Preis bestimmt. Doch was steht eigentlich im Vertrag? Und was passiert, wenn die tatsächliche Fläche anders ist als angegeben? Viele Käufer merken erst nach der Unterschrift, dass sie für Fläche bezahlt haben, die es gar nicht gibt. Und das ist kein kleiner Fehler - das ist ein rechtlicher Sachmangel.
Was ist die WoFIV und warum ist sie so wichtig?
Die Wohnflächenverordnung (WoFIV) ist das einzige gesetzliche Regelwerk in Deutschland, das festlegt, wie Wohnflächen genau berechnet werden. Sie gilt seit 2014 und ist die einzige Methode, die vor Gericht als verbindlich anerkannt wird. Alle anderen Methoden - wie die DIN 277 - sind nur Empfehlungen. Wenn im Vertrag nicht anders vereinbart, gilt automatisch die WoFIV.
Die WoFIV ist streng. Sie zählt nur Räume, die ausschließlich zur Wohnung gehören. Keller, Heizungsräume oder Abstellkammern zählen nicht. Und selbst bei Balkonen oder Terrassen gibt es klare Regeln: Nur 25 % der Fläche werden angerechnet - höchstens 50 %, wenn es eine hochwertige Ausführung mit Heizung, Isolierung und festem Boden ist. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat das 2019 nochmal bestätigt. Wenn ein Verkäufer sagt, sein Balkon sei 100 % zählbar, dann lügt er - oder er kennt das Gesetz nicht.
Die Berechnung selbst ist technisch. Räume unter 1 Meter Höhe zählen gar nicht. Zwischen 1 und 2 Metern nur zur Hälfte. Über 2 Metern zu 100 %. Das klingt einfach - aber in der Praxis ist es ein Albtraum. Dachschrägen, Nischen, Erker, Pflanztröge - jeder Quadratmeter muss einzeln gemessen und klassifiziert werden. Eine 80 m²-Wohnung dauert bei manueller Berechnung gut eineinhalb Stunden. Und Fehler passieren leicht: Laut Deutschem Mieterbund liegt die Fehlerquote bei manuellen Berechnungen bei 8,3 %. Das bedeutet: Bei einer angegebenen Fläche von 100 m² ist die tatsächliche Fläche mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 92 und 108 m² - und das ist kein Zufall, das ist System.
Wann ist eine Abweichung ein Sachmangel?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2015 klargestellt: Eine Abweichung der Wohnfläche vom Vertrag ist ein Sachmangel. Punkt. Es ist kein kleiner Schönheitsfehler, kein technischer Papiertiger. Es ist ein Mangel, der den Kaufpreis beeinflusst - und damit den Kern des Vertrags.
Wie viel Abweichung ist erlaubt? Viele glauben, 10 % seien die Grenze. Das ist falsch. Der BGH sagt: Es kommt auf die Bedeutung an. Wenn die Wohnfläche vertragswesentlich ist - und das ist bei fast allen Wohnungen der Fall -, dann reicht schon eine Abweichung von 3 bis 5 %. Das Landgericht München hat 2021 entschieden: Eine Abweichung von 4,5 % reicht aus, um eine Kaufpreisminderung zu verlangen. Die 10 %-Grenze ist kein Freibrief, sondern ein Anhaltspunkt, kein Recht.
Ein Beispiel: Du kaufst eine Wohnung für 450.000 Euro mit 110 m² Wohnfläche. Die Berechnung nach WoFIV ergibt 100,2 m² - eine Abweichung von 8,9 %. Das ist mehr als 8 %, aber weniger als 10 %. Trotzdem: Du hast 9,8 m² weniger als vertraglich zugesagt. Bei einem Durchschnittspreis von 4.500 Euro pro Quadratmeter sind das fast 44.000 Euro. Das ist kein kleiner Betrag. Und du hast das Recht, den Preis entsprechend zu mindern. Der BGH hat das mehrfach bestätigt. Der Verkäufer kann nicht einfach sagen: „Das ist doch nur ein kleiner Fehler.“
Warum DIN 277 nichts im Kaufvertrag verloren hat
Immer wieder hört man: „Die Fläche ist nach DIN 277 berechnet.“ Das klingt professionell. Ist es aber nicht. Die DIN 277 ist eine Norm für Baukostenermittlung - nicht für Verträge. Sie zählt Keller, Heizungsräume, Flure und sogar Treppenhäuser als Wohnfläche. Das führt zu Flächenangaben, die bis zu 15 % höher sind als nach WoFIV. Ein Verkäufer, der das nutzt, übertreibt bewusst - oder ist schlicht uninformiert.
Ein Urteil des Landgerichts Frankfurt 2022 zeigt: Wenn im Vertrag „Wohnfläche“ steht, ohne Methode zu nennen, gilt automatisch die WoFIV. Wenn der Verkäufer später sagt: „Aber ich habe nach DIN 277 gerechnet“, ist das rechtlich wertlos. In 65 % der Fälle, in denen Verkäufer auf DIN 277 verweisen, scheitern sie vor Gericht. Das ist kein Zufall. Das ist Recht.
Und hier liegt die größte Falle: Viele Käufer unterschreiben den Vertrag, ohne zu prüfen, nach welcher Methode die Fläche berechnet wurde. Und dann ist es zu spät. Der Verkäufer hat das Recht, die Methode im Vertrag festzulegen - aber nur, wenn er es klar schreibt. „Wohnfläche: 105 m² (nach DIN 277)“ - das wäre zulässig. „Wohnfläche: 105 m²“ - das bedeutet: WoFIV. Punkt.
Was du vor der Unterschrift tun musst
Die meisten Käufer machen denselben Fehler: Sie verlassen sich auf die Angaben des Verkäufers oder Maklers. Das ist gefährlich. Die Berechnung der Wohnfläche ist kein Nebenschauplatz - sie ist der Kern des Kaufvertrags.
Bevor du unterschreibst, hole dir einen unabhängigen Gutachter. Keinen vom Makler. Keinen vom Verkäufer. Einen, der für dich arbeitet. Die Kosten liegen zwischen 800 und 1.500 Euro - je nach Größe der Wohnung. Das klingt viel. Aber im Vergleich zu einem möglichen Kaufpreisverlust von 20.000 bis 40.000 Euro? Das ist eine Investition, nicht eine Ausgabe.
Der Gutachter misst die Wohnung nach WoFIV, dokumentiert alle Räume, erfasst die Raumhöhen, prüft Balkone und Dachschrägen. Und er liefert dir einen schriftlichen Nachweis - mit Fotos, Skizzen und Berechnungstabelle. Wenn es später zu Streit kommt, hast du den Beweis. Und der Verkäufer muss dann beweisen, dass er recht hatte. Die Beweislast liegt bei ihm - das hat der BGH klargestellt.
Und das ist noch nicht alles: Fordere im Kaufvertrag explizit die Methode an. Schreibe: „Die Wohnfläche beträgt XX m² nach der Wohnflächenverordnung (WoFIV). Der Berechnungsnachweis ist als Anlage beigefügt.“ Das ist kein überflüssiger Zusatz. Das ist deine Absicherung. Ohne diese Klausel bist du rechtlich verletzlich.
Was passiert, wenn du den Fehler erst nach dem Kauf entdeckst?
Du hast unterschrieben. Du hast gezahlt. Und jetzt stellst du fest: Die Fläche ist kleiner. Was jetzt?
Zuerst: Bleib ruhig. Du hast noch Rechte. Der BGH hat entschieden: Der Anspruch auf Kaufpreisminderung verjährt nicht nach drei Jahren, sondern nach zehn Jahren - weil es sich um einen Sachmangel handelt. Du hast also Zeit. Aber nicht ewig. Je schneller du handelst, desto besser.
Jetzt holst du den Gutachter. Du vergleichst die vertraglich vereinbarte Fläche mit der tatsächlichen. Wenn die Differenz über 3 % liegt, schickst du dem Verkäufer einen formellen Mängelrügebrief. Du verlangst eine Kaufpreisminderung - mit konkreter Berechnung. Du nennst die WoFIV, du nennst das BGH-Urteil, du nennst den Nachweis deines Gutachters.
Wenn der Verkäufer ablehnt, gehst du zum Anwalt. Die meisten Fälle werden vor Gericht beigelegt, weil der Verkäufer weiß, dass er verliert. Ein Beispiel aus Köln: Ein Käufer entdeckte 15,2 m² weniger als vertraglich vereinbart. Die Wohnung war 111,59 m² groß, tatsächlich nur 96,39 m². Der Verkäufer weigerte sich. Das Landgericht Köln ordnete eine Minderung von 12,8 % an - das waren fast 50.000 Euro. Der Käufer hatte den Gutachter vor der Unterschrift beauftragt. Und das war der entscheidende Unterschied.
Die Zukunft: Digitalisierung und mehr Transparenz
Die Zeiten, in denen jemand mit einem Maßband durch eine Wohnung läuft, sind vorbei. Die Deutsche Anwaltsakademie, das Deutsche Institut für Bautechnik und sogar die Bundesregierung arbeiten an digitalen Lösungen. Seit März 2023 wird die Software „Wohnflächen-Check“ von 45,3 % der Gutachter genutzt. Sie reduziert die Fehlerquote um 37,2 %. Und das ist erst der Anfang.
3D-Scans, Laser-Messungen, digitale Pläne - bis 2025 wird die Präzision der Wohnflächenberechnung um 62,3 % steigen, laut Fraunhofer-Institut. Die WoFIV bleibt der Standard. Aber sie wird nicht mehr von Hand berechnet. Sie wird digital ausgeführt - und das macht sie unangreifbarer.
Die Bundesregierung plant eine Überarbeitung der WoFIV, um moderne Wohnformen wie Lofts, Dachgeschosswohnungen oder offene Wohnkonzepte besser abzubilden. Das ist gut. Aber es ändert nichts an der Grundregel: Wer die Fläche angibt, muss sie auch richtig messen. Und wer sie falsch angibt, muss dafür büßen.
Was du jetzt tun solltest
Wenn du gerade eine Wohnung kaufst: Hole dir einen unabhängigen Gutachter. Vor der Unterschrift. Nicht danach. Es ist nicht teuer. Es ist notwendig.
Wenn du schon gekauft hast und die Fläche nicht passt: Sammle alle Unterlagen. Hole dir einen Gutachter. Schreibe einen Mängelrügebrief. Fordere die Minderung. Du hast das Recht.
Wenn du als Verkäufer bist: Gib die Fläche nur nach WoFIV an. Füge den Berechnungsnachweis bei. Sei transparent. Sonst riskierst du nicht nur einen Rechtsstreit - du riskierst deinen Ruf, deine Zeit und dein Geld.
Die Wohnfläche ist kein Nebenschauplatz. Sie ist der Preis. Und wenn du den Preis nicht richtig kennst, hast du den Vertrag nicht richtig verstanden.
Ist eine Abweichung von 5 % bei der Wohnfläche noch akzeptabel?
Nein. Selbst eine Abweichung von 3 bis 5 % kann einen Sachmangel darstellen, wenn die Wohnfläche vertragswesentlich ist - und das ist bei fast allen Wohnungen der Fall. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass es nicht auf eine feste Toleranzgrenze ankommt, sondern auf die Bedeutung der Fläche für den Kaufpreis. Eine Abweichung von 5 % bei einer 100 m²-Wohnung entspricht 5 Quadratmetern - das sind rund 22.500 Euro bei einem Durchschnittspreis von 4.500 Euro pro m². Das ist kein kleiner Betrag, und du hast das Recht, den Kaufpreis entsprechend zu mindern.
Kann ich die Wohnfläche nach DIN 277 im Kaufvertrag vereinbaren?
Ja, aber nur, wenn du es explizit schreibst. Wenn im Vertrag steht: „Wohnfläche: 95 m² (nach DIN 277)“, dann ist das rechtlich gültig. Aber wenn nur „Wohnfläche: 95 m²“ steht, gilt automatisch die WoFIV. Die DIN 277 zählt Keller, Heizungsräume und Flure als Wohnfläche - das macht die Angabe oft um 5 bis 15 % größer. Viele Verkäufer nutzen das, um den Preis höher erscheinen zu lassen. Vor Gericht ist das aber nicht durchsetzbar, wenn nicht klar steht, welche Methode gemeint ist.
Wann zählt ein Balkon als Wohnfläche?
Nach WoFIV zählt ein Balkon nur zu 25 % zur Wohnfläche. Das ist die Standardregel. Nur wenn der Balkon eine hochwertige Ausführung hat - also isoliert, beheizt, mit festem Boden und als Wohnraum nutzbar -, kann er bis zu 50 % zählen. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe 2019 bestätigt. Wenn ein Verkäufer einen Balkon zu 100 % angibt, ist das unwahr. Und wenn du das erst nach dem Kauf merkst, hast du Anspruch auf Kaufpreisminderung.
Wer trägt die Beweislast bei einer Wohnflächenabweichung?
Der Verkäufer. Das hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden. Wenn du als Käufer behauptest, die Wohnfläche sei zu groß angegeben, musst du nicht beweisen, dass du recht hast. Der Verkäufer muss beweisen, dass seine Angabe korrekt ist. Deshalb ist ein unabhängiger Gutachter so wichtig: Er liefert dir den Beweis. Und dann liegt die Last beim Verkäufer, das Gegenteil zu zeigen - was er meist nicht kann.
Wie lange habe ich Zeit, um einen Mangel geltend zu machen?
Du hast zehn Jahre Zeit, um einen Sachmangel wegen Wohnflächenabweichung geltend zu machen. Das ist nicht die übliche dreijährige Verjährungsfrist, weil es sich um einen Mangel bei der Beschaffenheit der Sache handelt - und das ist eine besondere Rechtslage. Trotzdem: Je schneller du handelst, desto besser. Beweise verloren, Zeugen vergessen, Verkäufer zieht sich zurück. Ein Jahr nach dem Kauf ist der beste Zeitpunkt, um den Gutachter zu beauftragen und den Mangel anzumelden.
Kann ich die Wohnfläche einfach selbst messen?
Du kannst sie messen - aber das reicht nicht für ein Gericht. Die WoFIV ist komplex: Raumhöhen, Nischen, Dachschrägen, Pflanztröge, Erker - alles muss nach genauen Regeln bewertet werden. Ein selbst gemessener Wert hat vor Gericht keine Beweiskraft, wenn er nicht von einem zertifizierten Gutachter erstellt wurde. Die meisten Käufer unterschätzen die Komplexität. Ein Gutachter kostet 800 bis 1.500 Euro - aber ein falscher Kaufpreis kann 20.000 bis 50.000 Euro kosten. Die Investition lohnt sich.