Im Jahr 2025 ist der deutsche Wohnungsmarkt zersplittert wie nie zuvor. In Berlin, München, Hamburg und Frankfurt stehen Wohnungen innerhalb von Stunden nach der Inserierung unter Vertrag - und das, obwohl bundesweit über 1,8 Millionen Wohnungen leer stehen. Der Grund? Sie liegen an den falschen Orten. Während Großstädte vor lauter Nachfrage fast erstickt sind, verfallen in ländlichen Regionen ganze Straßenzüge. Die Leerstandsquote ist kein abstrakter Statistikwert - sie ist ein Spiegelbild einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise.
Was genau ist eine Leerstandsquote?
Die Leerstandsquote sagt aus, wie viel Wohnraum in einem Gebiet ungenutzt ist. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2022 rund 1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland leer - das sind 4,5 Prozent des gesamten Bestands. Aber das ist kein Durchschnittswert. Er ist irreführend. Denn während in München nur 0,7 Prozent der Wohnungen unbesetzt sind, liegt die Quote in Teilen des Vogtlandkreises oder der Ostprignitz bei über 12 Prozent. Eine Wohnung gilt als leer, wenn sie nicht bewohnt wird, nicht renoviert wird und auch nicht aktiv zum Verkauf oder zur Vermietung angeboten wird. Es geht nicht um Ferienwohnungen oder vorübergehend freie Einheiten - es geht um Wohnungen, die ausgeschieden sind, weil niemand mehr sie will.
Die Stadt-Land-Schere: Wo es Wohnungen gibt - und wo es keine gibt
Die Kluft zwischen Stadt und Land ist nicht nur sichtbar, sie ist explosiv. In den vier Großstädten Berlin, München, Hamburg und Frankfurt liegt die Leerstandsquote unter einem Prozent. Das ist kein Zeichen von Erfolg, sondern von Systemversagen. Ein gesunder Wohnungsmarkt braucht einen Puffer von 3 bis 5 Prozent. Ohne diesen Puffer bricht das System zusammen. Mietpreise steigen, Mieter wandern ab, Fachkräfte suchen sich andere Städte. Laut CALVEST.de ist der Markt in diesen Regionen bereits überhitzen - und die Lage wird sich bis 2026 weiter verschärfen, wenn nicht jährlich mindestens 500.000 neue Wohnungen entstehen.
Ganz anders sieht es in Ostdeutschland und ländlichen Regionen aus. In Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Teilen von Brandenburg liegen die Leerstandsquoten zwischen 6 und 10 Prozent. In einigen Landkreisen wie St. Wendel, Kusel oder Freyung-Grafenau sind sogar über 15 Prozent der Wohnungen unbewohnt. Das ist kein Zufall. Die Bevölkerung schrumpft, junge Menschen ziehen in die Städte, und die Infrastruktur verfällt. Wer heute in einem Dorf in der Oberlausitz eine Wohnung sucht, hat die Wahl - aber die meisten Wohnungen sind sanierungsbedürftig, ohne Internet, ohne Bushaltestelle, ohne Job.
Warum ist die Ost-West-Schere so groß?
Die Unterschiede zwischen Ost und West sind nicht nur historisch, sie sind strukturell. In den alten Bundesländern wurde in den 1990er und 2000er Jahren viel in Neubau investiert - oft in Ballungsräumen, die heute überfüllt sind. In den neuen Bundesländern hingegen wurde nach der Wende zu wenig neu gebaut, während viele alte Wohnungen abgerissen wurden. Heute hat Ostdeutschland einen Wohnungsbestand, der zu groß ist - aber zu schlecht verteilt. Die Eigentumsquote ist in ländlichen Regionen mit über 70 Prozent deutlich höher als in Städten wie Berlin oder Leipzig, wo sie unter 16 Prozent liegt. Das bedeutet: In den Dörfern sitzen viele alte Menschen in großen Häusern, die sie nicht mehr nutzen können - und niemand will sie kaufen oder mieten.
Die Folge: Ein junger Lehrer, der nach Zwickau zieht, findet keine Wohnung - aber 50 Kilometer entfernt steht ein 120-Quadratmeter-Einfamilienhaus leer, das 20 Jahre lang nicht renoviert wurde. Warum? Weil der Eigentümer nicht weiß, wie er es verkaufen oder sanieren soll. Weil die Kommune keine Fördermittel bereitstellt. Weil niemand die Kosten tragen will.
Die Handlungsstrategie Leerstandsaktivierung - Hoffnung oder Hype?
Die Bundesregierung hat 2025 die „Handlungsstrategie Leerstandsaktivierung“ auf den Weg gebracht. Ziel: Bis Ende 2025 sollen 500.000 leerstehende Wohnungen in strukturschwachen Regionen wieder nutzbar gemacht werden. Dafür stehen 1,2 Milliarden Euro bereit - für Sanierungen, für energetische Modernisierungen, für die Anbindung an digitale Infrastruktur. Es klingt gut. Aber die Realität ist komplizierter.
Die Kommunen brauchen durchschnittlich 6 bis 9 Monate, um die Genehmigungen für eine Sanierung zu bekommen. Die Eigentümer müssen erst überzeugt werden. Die Bauunternehmen fehlen - viele haben in den letzten Jahren auf den Großstadtmarkt gesetzt und sind nicht mehr in ländlichen Regionen tätig. Erfolgreich war nur, wer früh agierte. Im Vogtlandkreis zum Beispiel hat die Kommune mit lokalen Investoren eine Partnerschaft geschlossen. Innerhalb von 12 Monaten wurden 200 Wohnungen saniert - mit Fördergeldern, mit Mietspiegel-Anpassungen und mit einem neuen Jobcenter, das auch Homeoffice-Plätze vermittelt. Heute ziehen wieder junge Familien ein. Die Mieten liegen bei 350 Euro für 80 Quadratmeter. In Berlin wären das 1.200 Euro.
Was passiert, wenn nichts passiert?
Die Zahlen sind alarmierend. Laut Destatis leben 4,2 Millionen Menschen in Haushalten mit Zahlungsrückständen bei Strom, Wasser oder Heizung - ein Rekord. Die Mietpreise in den Großstädten sind seit 2020 um durchschnittlich 38 Prozent gestiegen. Ein durchschnittlicher Mieter in Berlin zahlt heute 1.150 Euro für eine 60-Quadratmeter-Wohnung - das ist fast die Hälfte seines Nettoeinkommens. Die Folge: Menschen verlassen die Städte, weil sie es sich nicht mehr leisten können. Unternehmen ziehen ab, weil sie keine Mitarbeiter finden. Die Wirtschaft leidet.
Und in den ländlichen Regionen? Die Leerstandsquoten steigen weiter. Die Häuser verfallen. Die Dörfer sterben. Die Kinder, die noch da sind, verlassen sie. Es entsteht ein Teufelskreis: Keine Jobs → keine jungen Menschen → keine Nachfrage → keine Sanierung → mehr Leerstand.
Was können Eigentümer und Mieter tun?
Wenn Sie Eigentümer einer leerstehenden Wohnung in einer ländlichen Region sind: Handeln Sie jetzt. Die Bundesförderung ist da - aber sie wird nicht ewig verfügbar sein. Holen Sie sich Beratung bei Ihrer Kommune, beim Bauen und Wohnen im Landkreis, bei der KfW. Machen Sie die Wohnung energieeffizient. Bauen Sie eine schnelle Internetverbindung ein. Stellen Sie sie als Homeoffice-Wohnung an. Viele Unternehmen zahlen heute Zuschüsse für Mitarbeiter, die aus der Stadt in die Region ziehen.
Wenn Sie Mieter sind und in einer Großstadt leben: Seien Sie realistisch. Die Chance, eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist gering. Suchen Sie in der Umgebung. In Sachsen, Thüringen oder Brandenburg gibt es Orte, die 20 bis 30 Kilometer von der nächsten Großstadt entfernt sind - mit guter Bahnverbindung, mit Internet, mit günstigen Mieten. Die Reisezeit ist länger - aber die Lebensqualität ist höher.
Die Zukunft des deutschen Wohnungsmarktes hängt nicht davon ab, wie viele neue Wohnungen in Berlin gebaut werden. Sie hängt davon ab, ob wir lernen, den Wohnraum dort wiederzubeleben, wo er schon steht - und ob wir bereit sind, die Menschen dorthin zu bringen, wo er verfügbar ist.
Die wichtigsten Fakten auf einen Blick
- Bundesweite Leerstandsquote 2025: ca. 2,5 % (empirica-Institut)
- Leerstandsquote in Berlin, München, Hamburg, Frankfurt: unter 1 %
- Leerstandsquote in Ostdeutschland: durchschnittlich 6,4 %, in Einzelkreisen bis zu 15 %
- Wohnungsbestand in Deutschland 2022: 43,4 Millionen Einheiten
- Neubau pro Jahr seit 1950: durchschnittlich 405.000 Wohnungen
- Ziel der Bundesregierung bis Ende 2025: 500.000 Wohnungen aktivieren
- Fördermittel für Sanierung: 1,2 Milliarden Euro
- Zeit bis zur Genehmigung einer Sanierung: 6-9 Monate
- Erfolgreiches Modell: Vogtlandkreis - 200 Wohnungen in 12 Monaten reaktiviert
Warum ist die Leerstandsquote in Großstädten so niedrig?
Weil die Nachfrage nach Wohnraum dort extrem hoch ist - und das Angebot nicht mithält. In Berlin, München, Hamburg und Frankfurt ziehen jedes Jahr Tausende Menschen hin, weil sie Arbeit, Bildung oder soziale Anbindung suchen. Gleichzeitig wird zu wenig gebaut, und viele bestehende Wohnungen werden in Eigentum umgewandelt. Ein gesunder Markt braucht einen Puffer von 3-5 %, aber dort liegt der Wert unter 1 %. Das führt zu Mietpreisexplosionen, langen Suchzeiten und sozialer Belastung.
Kann man leerstehende Wohnungen in ländlichen Regionen wirklich nutzen?
Ja - aber nur mit gezielten Maßnahmen. Die Sanierung muss mit Fördermitteln unterstützt werden, die Infrastruktur muss modernisiert werden (schnelles Internet, Busverbindungen), und es braucht Anreize für neue Mieter. Erfolgreiche Beispiele wie der Vogtlandkreis zeigen: Wenn Kommunen mit Investoren zusammenarbeiten, Jobs schaffen und digitale Arbeit ermöglichen, ziehen junge Familien wieder ein. Es ist kein Wunder, sondern ein strategisches Projekt.
Warum werden leerstehende Wohnungen nicht einfach abgerissen?
Weil Abriss teuer ist und oft nicht sinnvoll. Viele dieser Gebäude sind gut gebaut - aus den 1950er bis 1970er Jahren. Sie haben eine stabile Struktur. Der Aufwand, sie zu sanieren, ist oft geringer als der Aufwand, neue zu bauen. Außerdem sind sie in der Regel auf einem Grundstück, das schon erschlossen ist - mit Straßen, Wasser, Strom. Abriss würde nur neue Probleme schaffen: Bodenversiegelung, Ressourcenverbrauch, Verlust von historischem Bestand. Sanieren ist nachhaltiger.
Welche Rolle spielt die Wohneigentumsquote bei der Leerstandsquote?
Sie ist entscheidend. In ländlichen Regionen ist die Eigentumsquote oft über 70 % - das heißt, viele Wohnungen gehören älteren Menschen, die nicht mehr in großen Häusern leben wollen, aber nicht verkaufen, weil sie keine Käufer finden. In Städten ist die Eigentumsquote niedrig (unter 20 %), weil die meisten Menschen mieten. Das führt dazu, dass in den Dörfern Wohnungen ungenutzt bleiben, während in den Städten die Mietpreise explodieren. Die Lösung liegt nicht im Verkauf, sondern in der Vermietung - und in der Schaffung von Anreizen, diese Wohnungen wieder zu nutzen.
Wie lange dauert es, eine leerstehende Wohnung zu aktivieren?
Mindestens 18 bis 24 Monate, wenn alles reibungslos läuft. Das beinhaltet: Suche nach Fördermitteln, Genehmigungen einholen, Sanierungsplan erstellen, Bauunternehmen finden, Baumaßnahmen durchführen, Mieter finden. In der Praxis dauert es oft länger, weil Kommunen überlastet sind, Eigentümer zögern oder die Baubranche in ländlichen Regionen kaum noch tätig ist. Die erfolgreichsten Projekte haben früh mit lokalen Partnern kooperiert - und nicht auf die Bundesförderung gewartet.