- von Helmut Schröder
- an 24 Nov, 2025
Warum Brandschutz in alten Häusern nicht auf die lange Bank geschoben werden kann
Ein Brand im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses in Dresden im Jahr 2023 hat gezeigt, wie schnell sich eine kleine Sorglosigkeit in eine Katastrophe verwandelt. Ein abgestellter Kinderwagen mit alten Zeitungen daneben - scheinbar harmlos - wurde zur Brandquelle. Die Fluchttür war blockiert, die Rauchwarnmelder nicht installiert. Zwei Bewohner mussten mit Rauchvergiftung ins Krankenhaus. Was viele nicht wissen: Dieser Fall ist kein Einzelfall. Und er ist auch kein Zufall. In Deutschland gibt es über 12 Millionen Bestandsimmobilien, die vor 1980 gebaut wurden. Viele davon erfüllen heute nicht mehr die gesetzlichen Brandschutzanforderungen. Doch wer muss was nachrüsten? Und wann?
Das Bestandschutzprinzip - ein Trugschluss für viele Eigentümer
Viele Hausbesitzer denken: „Mein Haus ist aus den 60er-Jahren, da galten andere Regeln. Also muss ich nichts ändern.“ Das ist falsch. Das sogenannte Bestandschutzprinzip gilt nur, wenn Sie das Gebäude unverändert nutzen. Sobald Sie etwas verändern - eine Wand versetzen, eine Wohnung umbauen, ein Geschoss hinzufügen oder die Nutzung von Wohnen auf Gewerbe umstellen - dann tritt die Nachrüstpflicht in Kraft. Das steht klar in § 70 der Musterbauordnung (MBO), die in allen 16 Bundesländern als Grundlage dient. Die Landesbauordnungen wie die Sächsische Bauordnung (SächsBO) oder die Bayerische Bauordnung (BayBO) ergänzen diese Vorgaben, aber das Prinzip bleibt gleich: Keine bauliche Veränderung ohne Brandschutzprüfung.
Was genau muss nachgerüstet werden? Die drei Kernbereiche
Es gibt nicht eine einzige Liste, die für ganz Deutschland gilt. Aber drei Bereiche sind überall relevant:
- Flucht- und Rettungswege: Treppenhäuser, Hausflure und Türen müssen breit genug sein, um im Notfall alle Bewohner sicher hinauszubringen. Die Mindestbreite liegt meist bei 1,20 Meter - in Berlin und anderen Großstädten bei mehr als 500 m² Nutzfläche sogar bei 1,50 Meter. Die Türöffnungsrichtung zählt auch: Sie muss nach außen öffnen, damit niemand beim Drängen eingeklemmt wird.
- Feuerschutzabschlüsse: Türen zwischen Wohnungen und Treppenhäusern müssen mindestens 30 Minuten Feuer widerstehen (F30). Das bedeutet: Keine alten Holztüren mit Glas oder Leichtbauwände. Sie müssen durch brandhemmende Türen ersetzt werden, die mit einem Prüfzeichen gekennzeichnet sind. Auch bei der Renovierung von Bädern oder Küchen wird oft vergessen, dass die Wandabschlüsse zur Treppe ebenfalls geprüft werden müssen.
- Rauchwarnmelder: Seit 2017 sind sie in allen Bundesländern Pflicht - aber nicht alle haben sie installiert. In Wohnungen, Fluren und Schlafzimmern müssen sie angebracht sein. Sie müssen batteriebetrieben oder netzbetrieben sein, aber immer mit einem Testknopf. Kein Gerät, das älter als 10 Jahre ist, darf noch funktionieren. Die Hersteller geben ein Ablaufdatum auf - das ist kein Vorschlag, das ist Gesetz.
Warum die Regeln in jedem Bundesland anders sind
Ein Haus in Leipzig hat andere Anforderungen als ein identisches Haus in München. Die MBO gibt nur den Rahmen vor. Die Länder entscheiden, wie streng sie umsetzen. In Nordrhein-Westfalen müssen Hochhäuser ab drei Geschossen bereits seit 2023 Rauchabsauganlagen haben. In Sachsen reicht es für kleine Mehrfamilienhäuser oft noch aus, wenn die Fluchtwege frei bleiben und Rauchmelder installiert sind. Die Folge: Eine Brandschutzsanierung in Berlin kostet durchschnittlich 48.500 Euro - in Thüringen für dasselbe Haus nur 32.000 Euro. Eine Studie der TU München zeigt: Die Kosten für identische Gebäude können je nach Bundesland um bis zu 300 Prozent variieren. Das ist kein Zufall. Das ist System.
Denkmalschutz und Brandschutz - ein unauflösbarer Konflikt
Wer in einem denkmalgeschützten Haus wohnt, kennt das Problem: Die historischen Holztüren dürfen nicht ersetzt werden, die Wandverkleidung aus dem Jahr 1920 bleibt. Aber der Brandschutz verlangt Feuerschutztüren und geschlossene Fluchttüren. Lösungen gibt es - aber sie sind teuer und komplex. In Dresden wurde in einem denkmalgeschützten Haus die ursprüngliche Tür abgenommen, um die Fluchtwegbreite zu erreichen. Der Denkmalschutz verlangte: Die Tür muss originalgetreu nachgebaut werden. Das kostete 4.200 Euro - für eine einzige Tür. Solche Projekte brauchen einen Brandschutzgutachter, der mit dem Denkmalamt verhandelt. Es gibt keine Standardlösung. Jedes Gebäude ist ein Einzelfall.
Was passiert, wenn Sie nichts tun?
Die Bauaufsichtsbehörden kommen nicht einfach so vorbei. Sie greifen erst ein, wenn:
- ein Brand passiert ist,
- ein Mieter eine Mietminderung wegen Brandschutzmängeln beantragt,
- oder Sie baulich etwas verändern und die Baugenehmigung beantragen.
Im Jahr 2023 wurden in Deutschland 1.247 Fälle von Mietminderungen wegen fehlender Brandschutzmaßnahmen registriert - ein Anstieg von 27 Prozent gegenüber 2022. Mieter dürfen die Miete kürzen, wenn sie nachweisen können, dass die Wohnung nicht sicher ist. Ein Vermieter in Berlin musste 2024 die Miete um 15 Prozent senken, weil keine Rauchmelder installiert waren. Und wenn die Behörde nach einem Brand feststellt, dass die Nachrüstpflicht ignoriert wurde, drohen Bußgelder - bis zu 50.000 Euro in schweren Fällen. Das ist kein Scherz. Das ist Recht.
Wie Sie die Kosten nicht alleine tragen müssen
Im Gegensatz zur energetischen Sanierung gibt es für Brandschutz keine staatlichen Förderprogramme wie das BEG. Keine Zuschüsse, keine günstigen Kredite. Das ist ein großer Nachteil für kleine Wohnungseigentümergemeinschaften. Eine Umfrage des Deutschen Mieterbundes aus März 2024 zeigt: 43 Prozent der Eigentümer von Gebäuden mit bis zu vier Wohnungen haben keine Rücklagen für Brandschutzmaßnahmen. Aber es gibt Wege:
- Kosten teilen: In einer Wohnungseigentümergemeinschaft kann die Sanierung über die Instandhaltungsrücklage finanziert werden - wenn die Mehrheit zustimmt.
- Kosten abschreiben: Als Vermieter können Sie die Ausgaben für Brandschutzmaßnahmen als Werbungskosten absetzen. Das reduziert Ihre Einkommensteuer.
- Freie Beratung nutzen: Die Feuerwehren in vielen Städten bieten kostenlose Brandschutzberatungen an. In Berlin wurden 2023 über 1.800 Gespräche für Bestandsimmobilien geführt. Holen Sie sich das Angebot - es kostet nichts, aber es kann Ihnen Tausende Euro ersparen.
Was Sie jetzt tun sollten - eine klare Schritt-für-Schritt-Anleitung
- Prüfen Sie die Landesbauordnung: Suchen Sie die aktuelle Fassung Ihrer Landesbauordnung (z. B. SächsBO für Sachsen, BauO Bln für Berlin). Die meisten sind online verfügbar.
- Identifizieren Sie Ihre Risikobereiche: Sind Fluchttüren zu schmal? Gibt es Rauchmelder? Sind Treppenhäuser mit Möbeln oder Altpapier blockiert? Machen Sie eine Checkliste.
- Holen Sie sich eine kostenlose Beratung: Kontaktieren Sie Ihre örtliche Feuerwehr oder die Brandschutzzentrale. Viele bieten Hausbesichtigungen an.
- Beauftragen Sie einen Brandschutzgutachter: Die Kosten liegen zwischen 1.500 und 3.000 Euro - aber sie verhindern teure Nachbesserungen. Die meisten Nachrüstungen, die ohne Planung gemacht werden, kosten später doppelt.
- Planen Sie die Sanierung: Fassen Sie mehrere Maßnahmen zusammen. Wenn Sie ohnehin die Heizung erneuern, nutzen Sie die Gelegenheit, um die Fluchttüren zu tauschen. So sparen Sie Kosten.
- Dokumentieren Sie alles: Behalten Sie Rechnungen, Gutachten und Genehmigungen. Im Zweifel brauchen Sie den Nachweis.
Die Zukunft: Digitalisierung und bundeseinheitliche Regeln
2024 wurde in Hamburg das erste digitale Brandschutzakte-Pilotprojekt gestartet. Alle neuen und sanierten Gebäude müssen ab sofort alle Brandschutzdaten digital hinterlegen - von der Türbeschreibung bis zur Prüfnummer des Rauchmelders. Die Bundesregierung plant, ab 2026 eine bundeseinheitliche Regelung für Brandschutz in Bestandsbauten einzuführen. Das wird die Unsicherheit reduzieren - aber auch die Anforderungen verschärfen. Wer jetzt nichts tut, wird später teuer zahlen. Die Technik entwickelt sich: Smarte Sensoren erkennen jetzt schon Rauch in Treppenhäusern und warnen automatisch die Feuerwehr. Diese Systeme werden in den nächsten Jahren günstiger. Wer heute nachrüstet, investiert nicht nur in Sicherheit - sondern auch in die Zukunftsfähigkeit seines Hauses.