- von Helmut Schröder
- an 16 Nov, 2025
Stell dir vor, du willst deine Wohnung verkaufen. Du gibst nur Adresse, Wohnfläche und Baujahr in ein Online-Tool ein - und schon bekommst du einen Preis: 580.000 Euro. Schnell. Kostenlos. Einfach. Aber ist das der wahre Wert? Oder nur eine grobe Schätzung, die dich in die Irre führt? Viele Deutsche vertrauen heute auf automatische Immobilienbewertungen. Doch hinter der bequemen Zahl verbirgt sich eine Wahrheit, die kaum jemand sagt: Immobilienbewertung ohne Besichtigung kann bis zu 30 Prozent danebenliegen. Und das ist kein kleiner Fehler - das ist eine halbe Million Euro Fehlbewertung bei einem Haus im Wert von zwei Millionen.
Wie funktionieren Online-Immobilienbewertungen?
Automatische Bewertungen nutzen Algorithmen, die Daten aus tausenden Immobilienanalysen verarbeiten. Sie schauen sich an, was ähnliche Wohnungen in deiner Postleitzahl kürzlich gekostet haben. Sie ziehen Bodenrichtwerte heran, berechnen den Gebäudewert abzüglich Abschreibung und prüfen, ob das Haus in einer Gegend mit steigenden Preisen liegt. Plattformen wie Immowelt, homeday oder Biallo nutzen dafür KI, Satellitenbilder und historische Verkaufsdaten. Die Ergebnisse kommen in unter zwei Minuten - oft als Spannbreite, etwa 520.000 bis 610.000 Euro. Das klingt professionell. Ist es aber nicht.Die Technik ist gut, aber sie sieht nicht, ob die Fenster undicht sind, ob der Keller nass ist, ob die Heizung aus dem Jahr 1987 kommt oder ob die Dachterrasse mit Blick auf den Fernsehturm steht. Sie sieht nur Zahlen. Keine Risse. Keine Sanierungen. Keine Einzigartigkeit.
Die drei Methoden, die hinter den Zahlen stecken
Jede automatische Bewertung nutzt eine von drei Grundmethoden - und jede hat ihre Schwächen.- Vergleichswertverfahren: Hier wird geschaut, was ähnliche Immobilien in der Nachbarschaft tatsächlich gekostet haben. Das ist die genaueste Methode - aber nur, wenn es genug Verkaufsdaten gibt. In Stadtteilen mit wenig Handel, wie ländlichen Gebieten oder bei seltenen Bautypen, versagt sie.
- Sachwertverfahren: Der Bodenwert wird mit dem Gebäudewert addiert. Der Gebäudewert wird dann nach Alter abgeschrieben. Ein Haus aus 1970 bekommt weniger Wert als eines aus 2010 - egal, ob es gerade komplett saniert wurde. Die Software weiß das nicht.
- Ertragswertverfahren: Für Mietobjekte wird berechnet, wie viel Einkommen die Immobilie abwerfen könnte. Aber: Wer sagt, dass die Miete aktuell ist? Wer weiß, ob der Mieter seit zehn Jahren 4,50 Euro pro Quadratmeter zahlt, obwohl der Markt 12 Euro verlangt? Die Software nimmt Standardwerte - und das ist oft falsch.
Die meisten Online-Tools mischen diese Methoden. Aber sie können nicht entscheiden, ob ein Altbau mit originalen Parkettböden und Stuckdecken mehr wert ist als ein Neubau mit Standardfliesen. Das ist menschliche Einschätzung. Und die haben die Algorithmen nicht.
Wann funktionieren sie - und wann nicht?
Automatische Bewertungen sind nützlich, wenn du eine normale Eigentumswohnung in einer Großstadt hast - mit klaren Daten, regelmäßigem Handel und standardmäßiger Ausstattung. In Dresden, Leipzig oder Berlin funktionieren sie relativ gut. Eine Dachgeschosswohnung mit Balkon, Baujahr 2002, 85 Quadratmeter - da liegt die Schätzung oft nur 5 bis 10 Prozent daneben.Aber sobald es speziell wird, bricht das System zusammen.
- Denkmalgeschützte Häuser: Das Finanzamt schätzt sie pauschal - und unterschätzt sie um 12 bis 15 Prozent. Warum? Weil die Software nicht erkennt, dass ein originaler Treppengeländer aus 1910 nicht einfach durch einen Stahlträger ersetzt werden kann. Der Wert liegt im Detail.
- Unregelmäßige Grundstücke: Ein L-förmiges Grundstück mit schmalen Zugängen? Die Software rechnet mit einem rechteckigen Grundstück. Der Wert sinkt - obwohl der Boden genauso wertvoll ist.
- Renovierungsbedürftige Objekte: Eine Wohnung mit maroder Elektrik, feuchten Wänden und alten Fenstern? Die Online-Tool sieht nur die Wohnfläche. Nicht den Zustand. Ein Gutachter sieht: 20.000 Euro Sanierungskosten - und zieht das vom Wert ab. Die Software nicht.
- Einfamilienhäuser im ländlichen Raum: Hier gibt es kaum Verkaufsdaten. Die Software nutzt Durchschnittswerte aus 20 Kilometern Entfernung. Die Ergebnisse sind oft um 18 bis 25 Prozent falsch, wie eine Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin 2022 zeigte.
Der große Unterschied: Online-Schätzung vs. professionelles Gutachten
Du kannst dir eine kostenlose Schätzung holen - oder ein echtes Gutachten. Der Unterschied ist gigantisch.| Merkmale | Online-Bewertung | Professionelles Kurzgutachten | Vollständiges Verkehrswertgutachten |
|---|---|---|---|
| Kosten | 0 Euro | 200-500 Euro | 1.000-3.000 Euro |
| Dauer | 2 Minuten | 1-3 Tage | 2-4 Wochen |
| Genauigkeit | 70-85% | 85-90% | 95%+ |
| Rechtliche Gültigkeit | Nein | Nein | Ja |
| Bei Erbschaftssteuer nutzbar? | Nein | Nein | Ja |
| Was wird geprüft? | Datenbanken, Postleitzahl, Baujahr | Besichtigung, Zustand, Sanierungen, Lage | Alle Faktoren + rechtliche Prüfung |
Das Finanzamt akzeptiert keine Online-Schätzung. Wenn du ein Haus erbst, musst du ein offizielles Gutachten vorlegen - sonst zahlst du zu viel Steuer. Und wenn du später verkaufst und der Käufer eine Finanzierung braucht, verlangt die Bank ein professionelles Gutachten. Die Online-Schätzung zählt da nicht.
Was Nutzer wirklich erleben - echte Beispiele
Auf Reddit berichtet ein Nutzer aus München: Seine Dachgeschosswohnung wurde von fünf Online-Tools auf 650.000 Euro geschätzt. Sie wurde für 820.000 Euro verkauft - wegen einer Dachterrasse mit Blick auf den Olympiaturm. Kein Tool hatte das erkannt. Ein anderes Beispiel: Ein Hausbesitzer in Stuttgart ließ seine Doppelhaushälfte bewerten. Die Online-Schätzung lag bei 510.000 Euro. Der tatsächliche Verkaufspreis: 528.000 Euro. Nur 3,5 Prozent Abweichung. Warum? Weil es ein Standardobjekt war - kein Denkmal, kein Sonderbau, keine Sanierung im Verborgenen.Aber die negativen Erfahrungen dominieren. Ein Nutzer auf Trustpilot schrieb: „Die Schätzung lag 150.000 Euro unter dem tatsächlichen Verkaufspreis.“ Warum? Weil die Wohnung einen modernisierten Keller hatte - mit Dämmung, neuen Rohren, einer neuen Heizung. Die Software sah nur das Baujahr. Nicht die Investition. Und das macht den Unterschied.
Die größten Fehler beim Ausfüllen
Du gibst deine Wohnung in ein Tool ein - und schon bekommst du eine Zahl. Aber du hast vielleicht schon den Fehler gemacht, bevor du auf „Bewerten“ geklickt hast.- Falsche Wohnfläche: 42 Prozent der Fehlbewertungen kommen von falsch angegebenen Quadratmetern. Bei Altbauten ist oft unklar, ob ein Dachgeschoss komplett wohnlich ist oder nur teilweise. Die Software rechnet mit den Angaben - egal, ob sie stimmen.
- Sanierungen ignorieren: Neue Fenster? Neue Heizung? Kaminofen? Die meisten Tools fragen nicht danach. Und wenn sie es tun, kannst du oft nur „ja“ oder „nein“ wählen - nicht den Umfang.
- Standort verallgemeinern: Du wohnst in einer Straße mit 10 Häusern. Acht davon sind saniert, zwei sind marode. Die Software nimmt den Durchschnitt. Du hast das sanierte Haus - aber bekommst den Wert des maroden.
Die beste Regel: Gib nur exakte Daten ein. Wenn du unsicher bist, wähle „keine Angabe“. Besser weniger, als falsch.
Was kommt als Nächstes?
Die Technik wird besser. Seit Anfang 2024 nutzt Immowelt hochauflösende Satellitenbilder, um Grundstücksformen und Dachformen genauer zu erfassen. Das hat die Genauigkeit um 7 Prozent gesteigert. Bis 2026 wollen alle großen Portale 3D-Modelle einbauen - mit KI, die aus Luftbildern erkennt, ob ein Dach neu gedeckt ist oder ob die Fassade verputzt wurde.Und das Finanzamt plant eine Reform: Bis Ende 2025 soll das Bewertungsgesetz modernisiert werden. Es soll individuelle Merkmale stärker berücksichtigen - endlich. Aber das wird Jahre dauern. Bis dahin: Die pauschale Bewertung bleibt - und bleibt falsch.
Die Zukunft wird hybride Modelle bringen: Ein Algorithmus macht die erste Schätzung. Ein Mensch prüft dann die kritischen Punkte: Denkmal, Keller, Sanierung, Lage. Das ist der Weg. Nicht die vollständige Automatisierung. Weil Immobilien keine Produkte sind. Sie sind ein Stück Geschichte, ein Ort, ein Zuhause - und das lässt sich nicht in Datenpackets verpacken.
Was du tun solltest
Wenn du deine Immobilie verkaufen willst:- Benutze ein Online-Tool - aber nur als ersten Anhaltspunkt. Nicht als Entscheidungsgrundlage.
- Prüfe mehrere Plattformen. Immowelt, homeday, Biallo - vergleiche die Spannen. Wenn sie alle bei 500.000 Euro liegen, ist das ein Hinweis. Wenn einer sagt 400.000, einer 650.000 - dann ist das Signal: Da stimmt etwas nicht.
- Wenn du unsicher bist, hole dir ein Kurzgutachten. 300 Euro sind eine Investition in Sicherheit. Viel besser als ein falscher Preis, der deine Verkaufsstrategie ruiniert.
- Bei Erbschaft, Scheidung oder Finanzierung: Nur ein professionelles Verkehrswertgutachten zählt. Sparen ist hier falsch.
Automatische Bewertungen sind wie ein Wetterbericht. Sie sagen dir: „Morgen wird es sonnig.“ Aber sie sagen nicht, ob du einen Regenschirm brauchst, weil du auf dem Dach arbeitest. Nutze sie. Aber vertraue ihnen nicht.
Kann ich eine automatische Immobilienbewertung für die Erbschaftssteuer verwenden?
Nein. Das Finanzamt akzeptiert keine Online-Schätzungen für steuerliche Zwecke. Du brauchst ein offizielles Verkehrswertgutachten von einem anerkannten Sachverständigen. Sonst riskierst du eine falsche Steuerberechnung - und das kann zu Nachzahlungen, Zinsen und sogar Strafen führen.
Warum unterschätzen Online-Tools den Wert von Denkmalimmobilien?
Weil die Algorithmen keine historischen oder architektonischen Besonderheiten erkennen. Ein originaler Treppengeländer, Stuckdecken oder Holzfenster aus dem 19. Jahrhundert haben einen hohen Wert - aber die Software zählt sie nicht als Pluspunkt. Sie sieht nur das Baujahr und die Wohnfläche. Deshalb werden denkmalgeschützte Objekte systematisch um 12 bis 15 Prozent unterbewertet.
Welches Tool ist am genauesten?
Es gibt kein „bestes“ Tool. Alle nutzen ähnliche Datenquellen. Immowelt hat den größten Marktanteil und die meisten Verkaufsdaten. Biallo arbeitet mit KI und Nachbar-Postleitzahlen. Homeday nutzt Satellitenbilder. Aber alle haben dieselbe Schwäche: Sie sehen nicht den Zustand. Der Unterschied zwischen den Tools ist gering - aber alle sind ungenau bei speziellen Immobilien.
Kann ich die Schätzung verbessern, wenn ich mehr Daten eingeben?
Teilweise. Wenn du die Wohnfläche exakt angibst, das Baujahr korrekt einträgst und bei Modernisierungen „ja“ wählst, wird die Schätzung etwas genauer. Aber die meisten Tools fragen nicht nach Details wie Dämmung, Heizung, Fenster oder Kellerzustand. Und selbst wenn du es eingibst - die Software weiß nicht, wie viel das wert ist. Ein neuer Kaminofen ist kein Standardwert. Der Gutachter schon.
Sollte ich auf eine kostenlose Schätzung verzichten?
Nein. Nutze sie - aber als Startpunkt. Sie hilft dir, den Markt zu verstehen. Sie zeigt dir, ob deine Immobilie in einer Gegend mit steigenden oder fallenden Preisen liegt. Aber sie ist kein Ersatz für ein professionelles Gutachten. Sie ist ein Kompass - kein GPS.